
Blog

Dienstag, 1. April 2025
Wenn Nerven leiden
Neurologische Erkrankungen bei Haustieren verstehen und effektiv behandeln
"Ihr Hund wird nie wieder laufen können" – diese niederschmetternde Diagnose müssen heute deutlich weniger Tierhalter hören als noch vor einigen Jahren. Warum? Die neurologische Rehabilitation hat in der Tiermedizin enorme Fortschritte gemacht. Selbst bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Bandscheibenvorfällen, Rückenmarkstraumata oder degenerativen Myelopathien bestehen dank intensiver physiotherapeutischer Betreuung oft beeindruckende Chancen auf Besserung.
Zu den häufigsten neurologischen Problemen gehört der Bandscheibenvorfall, von dem insbesondere Rassen mit langem Rücken wie Dackel, Pekinesen oder Französische Bulldoggen betroffen sind. Tritt Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal aus und drückt auf das Rückenmark, kommt es zu Schmerzen, Koordinationsstörungen bis hin zu Lähmungserscheinungen. Die Symptome reichen von leichter Gangstörung (Ataxie) bis zur vollständigen Lähmung aller vier Gliedmaßen, je nach Lokalisation und Schweregrad der Schädigung.
Während in schweren Fällen oft eine Operation notwendig ist, spielt die anschließende Rehabilitation die entscheidende Rolle für den Langzeiterfolg. Doch auch bei konservativ behandelten Fällen oder anderen neurologischen Erkrankungen wie dem Vestibularsyndrom ("Schwindel" bei Hunden und Katzen), Polyneuropathien oder Schlaganfällen kann gezielte Physiotherapie den Heilungsverlauf wesentlich verbessern. Hierbei nutzen wir das erstaunliche Potenzial des Nervensystems zur Regeneration und Reorganisation – die sogenannte neuronale Plastizität.
Revolutionär: Selbst bei inkompletter Durchtrennung des Rückenmarks können durch intensive Stimulation und Training neue neuronale Verbindungen entstehen oder bestehende Restverbindungen verstärkt werden. Die Grundlage dafür bildet das sogenannte zentrale Mustergenerator-Netzwerk im Rückenmark, das auch ohne direkte Gehirnsteuerung rhythmische Bewegungsmuster erzeugen kann. Durch konsequentes Training können diese Netzwerke aktiviert und gestärkt werden – ein faszinierender Prozess, der immer wieder zu überraschenden Erfolgen führt.
Der Zeitfaktor spielt bei neurologischen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Im Idealfall beginnt die Rehabilitation bereits 24-48 Stunden nach der Diagnose oder operativen Versorgung. In dieser frühen Phase konzentriert sich die Therapie auf die Vermeidung von Sekundärschäden wie Druckstellen, Muskelatrophie oder Gelenkversteifungen. Passive Bewegungsübungen, sanfte Massage und korrekte Lagerung bilden hier die Grundpfeiler. Gleichzeitig werden durch sensible Stimulationstechniken erste Impulse gesetzt, um die Nervenregeneration anzuregen.
Der Weg zurück zur Mobilität
Maßgeschneiderte Rehabilitationskonzepte für neurologische Patienten
Keine neurologische Erkrankung gleicht der anderen – entsprechend individuell gestalten wir die Rehabilitation. Nach einer gründlichen Eingangsuntersuchung, bei der wir den neurologischen Status präzise erfassen, entwickeln wir einen Therapieplan, der sich kontinuierlich an die Fortschritte des Patienten anpasst. Dabei folgen wir dem Grundsatz: So viel Unterstützung wie nötig, so viel Eigenaktivität wie möglich.
In der Frühphase dominieren passive Techniken. Mit behutsamen Bewegungen halten wir die Gelenke beweglich und stimulieren gleichzeitig die Propriozeptoren – jene Sinneszellen, die dem Gehirn Informationen über Körperposition und Bewegung vermitteln. Spezialisierte Massagetechniken fördern die Durchblutung der gelähmten Muskulatur und verhindern Verklebungen des Bindegewebes. Durch gezielte Stimulation neurologischer Punkte mit den Fingerspitzen (Akupressur) oder speziellen Hilfsmitteln regen wir reflektorische Reaktionen an, die für spätere Bewegungsabläufe essentiell sind.
Mit zunehmender Erholung erweitern wir das Programm um assistierte aktive Übungen. Hierbei unterstützen wir das Tier bei Bewegungen, die es alleine noch nicht ausführen kann, während es selbst so viel wie möglich mitarbeitet. In dieser Phase kommen oft Hilfsmittel wie Physiobälle, Balance-Kissen oder Cavaletti-Stangen zum Einsatz. Besonders wirksam ist das sogenannte "Facilitated Walking" – eine Technik, bei der wir durch manuelle Führung der Gliedmaßen normale Gehbewegungen simulieren und dadurch die entsprechenden Nervenbahnen stimulieren.
Innovative Therapieformen bereichern das neurologische Rehabilitationsprogramm. Die Unterwassertherapie im Laufband bietet durch den Auftrieb des Wassers ideale Bedingungen für erste selbständige Schritte. Durch den hydrostatischen Druck werden zudem Schwellungen reduziert und die sensible Wahrnehmung intensiviert. Mit der Elektrostimulation können wir gezielt Muskelgruppen aktivieren, die durch die neurologische Schädigung nicht mehr willkürlich angesteuert werden können, und so Muskelabbau verhindern. Auch Lasertherapie und therapeutischer Ultraschall können den Heilungsprozess geschädigter Nervengewebe unterstützen.
Für Patienten mit dauerhaften Einschränkungen entwickeln wir gemeinsam mit den Besitzern individuelle Lösungen für den Alltag. Von speziellen Gehhilfen über angepasste Rollwagen bis hin zur tiergerechten Wohnraumanpassung – kreative Ansätze ermöglichen auch schwer betroffenen Tieren ein würdevolles Leben mit hoher Qualität. Besonders bewegend: Immer wieder erleben wir, wie Tiere, denen wenig Hoffnung gegeben wurde, durch die unermüdliche Zusammenarbeit engagierter Besitzer und professioneller Therapeuten doch wieder auf die Beine kommen.
Die mentale Komponente darf bei der neurologischen Rehabilitation nicht unterschätzt werden. Viele Patienten durchleben nach dem plötzlichen Verlust ihrer Mobilität Phasen der Frustration oder Depression. Durch positive Bestärkung jedes noch so kleinen Fortschritts, angepasste kognitive Herausforderungen und liebevolle Zuwendung unterstützen wir nicht nur den körperlichen, sondern auch den psychischen Heilungsprozess. Häufig berichten Besitzer, wie sich mit den ersten Erfolgserlebnissen in der Therapie auch die Stimmung ihres Tieres spürbar aufhellt.
Die Einbindung der Tierhalter spielt eine Schlüsselrolle im Rehabilitationsprozess neurologischer Patienten. In unserer Praxis nehmen wir uns daher Zeit, Ihnen alle notwendigen Handgriffe und Übungen für das Heimtraining zu zeigen. Diese täglichen kurzen Einheiten verstärken den Therapieeffekt erheblich und geben Ihnen als Besitzer zudem das gute Gefühl, aktiv zur Genesung Ihres Lieblings beizutragen. Mit Videos und schriftlichen Anleitungen unterstützen wir Sie dabei, die Übungen korrekt und sicher durchzuführen.